Betriebsausflug

Wasser marsch!

Die Saalekaskade, Deutschlands größte Stauseeregion, ist ein Ort der nachhaltigen Energiegewinnung, des Wanderns und des Weitblicks. Über 80 Kilometer erstreckt sich der Wasserlauf der oberen Saale, fünf Talsperren werden betrieben. Ein Ausflug in eine Region, in der Natur und Industrie Hand in Hand gehen.

Saalekaskade
Foto: © Moritz Küstner

Stolz, aber auch etwas Mitleid empfinde er wegen des mehr als 120 Jahre alten Wasserrads. „Knapp 30 Jahre durfte es im Ruhestand sein, dann musste es wieder ran“, sagt Wilfried Schwarz. Er, selbst bald Rentner und seit Jahrzehnten IGBCE-Mitglied, steht in einem dunklen Raum, umgeben von dicken, schwarzen Betonmauern. Licht dringt durch einen schmalen Durchgang in der Wand, der auf ein Metallgitter führt. Darunter die Saale, braun-grünlich. Sie brodelt, weil das Turbinenlaufrad aus alten Tagen im Nachbarraum kraftvoll 5.500 Liter Wasser in der Sekunde umwälzt.

„Es hat viele graue Haare gekostet, die alte Technik in Gang zu bringen“, sagt Schwarz. Seither lassen sich damit knapp 100 Haushalte mit Strom versorgen. Mitte der 1990er-Jahre wurde es wieder zum Leben erweckt, während ein baugleiches im Ruhestand blieb. Das liegt in den Boden eingelassen vor Schwarz – und ist Teil des Wasserkraftmuseums Ziegenrück. Er und elf weitere Guides zeigen dort Besucher*innen, wie die industrielle Nutzung der Saale die Region im Südosten Thüringens seit Jahrhunderten prägt. Und das aus eigener Erfahrung, denn alle Museumsführer sind wie Schwarz ehemalige Wasserkraftmitarbeiter.

Betriebsausflug an die Saale – Deutschlands größte Stauseeregion

Größter Talsperrenverbund Deutschlands

Draußen, wieder am Ufer der Saale, geht Schwarz über das Kopfsteinpflaster der Museumsterrasse zum gegenüberliegenden Spinnereigebäude. Vor dem Eingang zu dem Fachwerkhaus bleibt er stehen und zeigt nach rechts. Hinter einem Holzzaun schimmert der Fluss im Sonnenlicht, ein Entenpärchen lässt sich von der Strömung auf eine kleine Insel treiben. Im Hintergrund erstreckt sich der Thüringer Wald. Der Fingerzeig von Schwarz gilt allerdings nicht der idyllischen Berglandschaft, sondern einem Schild. Darauf steht: „307,5 üNN“. Eine Marke darunter zeigt, wie hoch das Wasser bei der Überflutung 1890 stand. „Das Jahrhunderthochwasser hat deutlich gemacht, dass es einen effektiven Schutz für die Region braucht“, sagt Schwarz. Im Inneren des alten Gebäudes zeigt er, was das genau bedeutet.

Dort, wo früher die wasserkraftbetriebenen Spinnereianlagen standen, steht nun ein meterlanges Modell der Region. „Von Saalfeld bis kurz vor Blankenstein haben ehemalige Mitarbeiter das Saale­tal einschließlich aller Nebenflüsse detailgetreu nachgebildet“, erklärt Schwarz. Zu sehen sind kleine Häuser mit roten Dächern, Stromtrassen und ein dunkelblauer Strich, der über die gesamte Länge des Modells eine Schneise durch hellgrüne und graue Erhebungen schlägt: der frühere Verlauf der Saale.

Darüber ist mit hellblauem Kunstharz die jetzige Flusslandschaft zu sehen: An manchen Stellen ist die Saale nicht breiter als ursprünglich, an anderen Stellen fasert sie zwischen den Bergketten aus. Wie ein Vogel schaut man auf Deutschlands größte Stauseeregion, das Thüringer Meer – auch Saalekaskade genannt. Fünf Stauseen, auf einer Länge von 80 Kilometern aneinandergereiht, bilden sie. Bis heute haben die Talsperren eine wichtige Hochwasserschutzfunktion für die Region. Daneben sind sie Pfeiler der Energiewende und mit ihren einzigartigen Biotopen beliebte Naherholungsgebiete.

„Hier ist die Bleilochtalsperre“, sagt Schwarz und zeigt auf dem Modell auf kleine Segel- und Ruderboote. Die Staumauer war die erste, die für den Hochwasserschutz in der Region errichtet wurde. Das war 1932. Noch heute ist die Talsperre die wasserreichste in Deutschland. Vor wenigen Jahren wurde der Staudamm in die Reihe der historischen Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst aufgenommen. Schwarz geht weiter in den hinteren Teil des Raums. Dort stehen fünf kleinere Plexiglaskästen. Darin zeigen sich detaillierte Rekonstruktionen der Saalestauseen und der zugehörigen Wasserkraftanlagen: Bleiloch, Burgkhammer, Wisenta sowie Hohenwarte I und II.

Betriebsausflug an die Saale

Pumpspeicherkraftwerk – eine riesige Batterie

Ortswechsel. Wie bunte Torten stehen acht Maschinen in der Halle von Hohenwarte II. Ihr Boden ist grün, die Mitte gelb, die Spitze orange. Licht fällt durch die Glasfassade im Bauhausstil. Eine riesige Bahnhofsuhr im hinteren Teil der Halle zeigt zehn Uhr. IGBCE-Mitglied Thomas Beyer, gelber Schutzhelm, gelbe Jacke, beugt sich über das Geländer auf der Galerie des Pumpspeicherkraftwerks. Der Ingenieur hat seit seinem 16. Lebensjahr einen Anstellungsvertrag in Hohenwarte, auch wenn er nicht immer vor Ort gearbeitet hat. Mittlerweile ist er bei Vattenfall beschäftigt. Das schwedische Energieunternehmen ist seit 2001 Eigentümer der fünf Stauseen und der zugehörigen Wasserkraftanlagen.

Gut 170 Menschen arbeiten für Vattenfall an der Saalekaskade, die meisten am Standort Hohenwarte mit den Kraftwerken und dem anliegenden Verwaltungsgebäude. Oftmals übernehmen die Mitarbeitenden aber auch überregionale Aufgaben. Einige wenige arbeiten an der Bleilochtalsperre. Gemeinsame Veranstaltungen der Gewerkschaftsortsgruppe wie Wanderungen, Reisevorträge, Schiffsfahrten und Betriebsbesichtigungen sorgen dafür, dass die Kolleg*innen trotz der unterschiedlichen Arbeitsorte einen Zusammenhalt über die eigentliche Tätigkeit hinaus erleben.

Energie für die Zukunft

In der Halle von Hohenwarte II lässt Beyer seinen Blick über die Maschinenköpfe schweifen: „25 Meter reichen die Pumpen in die Tiefe“, erklärt er. Sie befördern Wasser aus der Saale über Rohre in ein Becken, das 300 Meter oberhalb liegt. Al­ler­dings nur, wenn zu viel Strom produziert wird.

Früher geschah das in der Regel nachts, wenn weniger verbraucht wurde. Mit dem Fortschreiten der Energiewende werden die Speicherpumpen nun auch häufiger tagsüber in Betrieb genommen – genau dann, wenn die Sonne scheint oder starker Wind weht. Zu diesen Zeiten wird besonders viel erneuerbare Energie gewonnen. Die Produktion übersteigt dann den Bedarf. Herrscht Energiemangel, zum Beispiel bei Flaute oder Bewölkung, wird das Wasser über dieselben Rohre aus dem Oberbecken abgelassen. Die hinabstürzenden Wassermassen treiben einen Generator an, der wiederum Strom erzeugt.

„Wir sind ein Partner der Energiewende, denn wir können die schwankende Einspeisung der regenerativen Energien ausgleichen“, sagt Beyer. Überhaupt seien Pumpspeicherwerke eine der effizientesten Speichermethoden. So erreiche Hohenwarte II trotz des Alters einen Wirkungsgrad von etwa 70 Prozent, moderne Anlagen schafften gar über 80 Prozent.

„Unsere Anlagen werden die Aufgaben des Hochwasserschutzes und der Versorgungssicherung in vielen, vielen Jahrzehnten noch erfüllen“, ist Beyer überzeugt. „Unsere Pflicht ist es, sie fit zu halten, damit folgende Generationen sie weiterbetreiben können.“ Dieses gemeinsame Verständnis schweißt die Mitarbeitenden zusammen. Davon zeugt nicht zuletzt ein Organisationsgrad von mehr als 80 Prozent. Dazu kommt eine enge Verbundenheit mit der Region.


Wilfried Schwarz, Museumsführer

Wilfried Schwarz
Foto: © Moritz Küstner

„Wer herkommt, geht so schnell nicht wieder.“

Zurück im Museum steigt Wilfried Schwarz auf zwei Holzstufen neben dem Reliefmodell. Direkt vor ihm sind mehrere kleine Häuser auf rotem Grund festgeklebt. Auch eine Kirche ist zu sehen. Die kreisförmige Anordnung ist Remptendorf in Miniatur. „Von dort komme ich und hier wohne ich immer noch“, sagt Schwarz. „Ich fühle mich in der Gegend sehr wohl. Hier kann man herrlich wandern gehen, Fahrrad fahren oder auch einfach nichts tun. Wer herkommt, geht so schnell nicht wieder.“

Guide Saalekaskade

Weitere Informationen