Betriebsausflug

Das weiße Gold

Porzellinerinnen oder Porzelliner heißen die Menschen, die Porzellan herstellen und bearbeiten. Das Porzellanikon in Oberfranken macht an historischen Maschinen erlebbar, wie sie schon vor 200 Jahren gearbeitet haben. IGBCE-Mitglied Sibylle Geyer nimmt uns mit in eine Region, in der sogar die Gassen mit Feinkeramik gepflastert sind.

230218_Ig BCE_0444
Foto: © Moritz Küstner

Plötzlich wird es laut. David Beranek hat die Maschine angeworfen, ein tiefes Brummen hallt durch den Raum. Jetzt flitzt er durch die große, helle Halle, eine Eisentreppe hinauf, hinter vier großen Trommeln entlang. Dann legt er einen Hebel um. Ein Rumpeln ertönt – die Trommeln setzen sich in Bewegung, beginnen, sich zu drehen. Wie ein gewaltiges Tier, das zum Leben erwacht.

Die Trommeln sind eine der ersten Stationen auf der Tour durch das Porzellanikon, das größte Porzellanmuseum Europas. In den Trommeln werden die vorgemahlenen Mineralien Quarz und Feldspat fein gemahlen. Dann kommt Kaolin hinzu, ein feines, weißes Gestein. Zuletzt noch Wasser, fertig ist die Grundmasse für Porzellan, das „weiße Gold“, wie man es auch nennt.

Beranek, gelernter Porzellantechniker, ist Guide am Hauptstandort des Porzellanikons im oberfränkischen Selb. Auf dem ehemaligen Fabrikgelände des Herstellers Rosenthal können Besucher*innen alle Schritte der Porzellanherstellung hautnah erleben: vom Modellieren über die Aufbereitung der Porzellanmasse bis zum Drehen, Gießen, Glasieren und Brennen des Materials. Vermittelt an originalen Maschinen, demonstriert von Menschen vom Fach wie David Beranek.

Der steht inzwischen an der Vakuumstrangpresse, einer wuchtigen, lang gezogenen Maschine aus dem Jahr 1946. Sie entlüftet und knetet die Porzellanmasse, nachdem zuvor das Wasser herausgepresst wurde. Am Ende kommt die Masse in Form dicker, weißer Würste wieder heraus. „Diese Maschinen gibt es bei uns auch noch“, sagt Sibylle Geyer und streicht über das weiße Gerät. „Nur nicht so historisch.“

Situation der Beschäftigten

Geyer, eine der Teilnehmerinnen der Tour, ist Betriebsratsvorsitzende bei Rosenthal. Seit 1983 arbeitet sie für das Unternehmen. „In der Porzellanfertigung läuft auch heute noch viel mit Handarbeit“, sagt sie. „Damals aber wurde noch viel mehr von den Menschen selbst gemacht. Es ist faszinierend, das zu sehen.“ Dann fügt sie hinzu: „Nur tauschen möchte man mit den Beschäftigten von damals nicht.“

Das Thema Arbeitsbedingungen zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung. Viele Arbeiter*innen litten damals unter der sogenannten Staublunge. Sie lebten unter widrigen Bedingungen, schliefen mitunter zu siebt in einem kleinen Zimmer. Das Museum zeigt alte Stechuhren, spielt Arbeiterlieder ab und erläutert, wie sich die ersten gewerkschaftlichen Organisationen der Branche bildeten.

Sechs Tage pro Woche mussten die Beschäftigten damals ran, zwölf Stunden am Tag. Auch das Thema Kinderarbeit greift die Ausstellung auf. So waren es lange Zeit Fünfjährige, die in die Trommeln klettern mussten, um zu schauen, ob das Innenmaterial beschädigt war. Für Erwachsene waren die Öffnungen zu klein.

David Beranek steht inzwischen an der nächsten Station, dem sogenannten Drehen. Er hat graue Porzellanmasse in eine Becherform gegeben, die sich dabei beständig dreht. Jetzt drückt er eine schwarze, rund zulaufende Metallschablone hinein. „So“, sagt er, als er fertig ist, „der Becher ist jetzt in der Form. Aber wie kriegen wir ihn wieder raus?“ „Die Form öffnen“, sagt eine Frau aus der Gruppe. „Geht nicht“, sagt Beranek, „die ist aus einem Stück.“ „Kaputt machen“, sagt ein Mann. Beranek lacht. Eine andere Frau sagt: „Trocknen.“ Beranek nickt.

Betriebsausflug nach Selb – Wo Porzellan das Leben prägt

Interaktives Erleben

Es ist einer der Vorzüge der Tour. Die Teilnehmer*innen werden in das Geschehen miteingebunden und können an einigen Stellen sogar selbst Hand anlegen. So können sie an einem Drehscheibensimulator beispielsweise ausprobieren, ob sie die richtige Drehgeschwindigkeit hinkriegen.

Dabei geht es im Porzellanikon nicht nur um Teller und Becher. Eine ganze Etage widmet sich der industriellen Keramik. Denn das robuste Material eignet sich hervorragend für Kugellager und Gefäße in der chemischen Industrie. Ein animiertes Rad fahrendes Skelett verdeutlicht, dass das weiße Gold auch in der Medizin zu finden ist – in Form künstlicher Gelenke.

Die nächste Station. David Beranek steht zwischen Regalen voller weißer Zuckerdosen. Er gießt Porzellanmasse in eine weiße Kannenform, die er dabei dreht. Die Form saugt das Wasser an, an ihrer Gipswand entsteht eine feste Masseschicht. Die überschüssige Masse gießt Beranek ab. Dann greift er zu einer anderen Form, deren Inhalt schon getrocknet ist. Er öffnet sie, nimmt den Inhalt heraus: eine Zuckerdose mit zwei Henkeln. Er verputzt die Ränder mit einem nassen Schwamm, fertig.

Zentrum der Porzellanindustrie

Während Teller und Becher gedreht werden, greifen Porzelliner*innen bei komplexeren, verzierten Produkten wie Kannen oder Dosen auf das sogenannte Gießen zurück. „Eine 200 Jahre alte Produktionstechnik“, sagt Beranek. „Man nutzt sie heute noch.“ In der Hand hält er die Zuckerdose „Maria Weiß“, ein Markenzeichen der Firma Rosenthal. „Sie ist nach der Frau des Firmengründers benannt“, weiß Sibylle Geyer.

Dem Unternehmen Rosenthal und seiner Firmengeschichte ist in dem Museum ein ganzer Bereich gewidmet. Zu sehen sind dort edles Geschirr, kunstvoll verzierte Vasen oder Tieren nachempfundene Figuren. Weitere Exponate aus Porzellan, auch von anderen Herstellern, sind am zweiten Standort des Museums im 16 Kilometer entfernten Hohenberg ausgestellt.

„Ein tolles Museum“, sagt IGBCE-Mitglied Sibylle Geyer am Ende der Tour. „Und sehr wichtig für Selb. Weil man erfährt, welche Bedeutung Porzellan für die Stadt hatte und hat.“ Selb gilt als Zentrum der deutschen Porzellanindustrie. Dennoch litt die Stadt, wie viele andere auch, unter dem Strukturwandel. Rationalisierung, Technisierung, billigere Produktion im Ausland – in den Neunzigern geriet die Porzellanbranche der Stadt in die Krise. 5.000 Beschäftigte hatte Rosenthal Ende der Achtzigerjahre. Heute sind es 700. „Inzwischen macht uns auch der Fachkräftemangel zu schaffen“, sagt Sibylle Geyer. „Aber das hat das Unternehmen erkannt und steuert gegen. Etwa, indem es vermehrt auf Recruiting und Employer-Branding setzt.“

In Selb erinnert heute vieles an das weiße Gold, sei es der Porzellanbrunnen im Zentrum der Stadt oder das Porzellangässchen. Am Rathaus kann man sogar hören, wie das weiße Gold klingt; viermal am Tag ertönt ein Glockenspiel aus Porzellan. „Porzellan ist Selb, Selb ist Porzellan“, sagt Sibylle Geyer. „Es ist aus der Stadt nicht wegzudenken.“

Guide Porzellanikon

Weitere Informationen