Interview

"Wir sind und bleiben laut"

Bundesjugendsekretär Philipp Hering fordert im Interview ein höheres Ausbildungsplatzangebot, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Und er erklärt, warum Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV) in den Betrieben so wichtig sind. 

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Bundesjugendsekretär Philipp Hering bei der Zukunftstagung der IGBCE-Jugend in Haltern.

Foto: © Leo Kölzer

Lieber Philipp, vor welchen Herausforderungen steht die IGBCE Jugend in diesem Jahr? 

Das Jahr ist geprägt von zahlreichen wichtigen Entscheidungen, die nicht nur für die Jugend relevant sind. Neben den Tarifrunden und den Wahlen der Jugend– und Auszubildendenvertretungen (JAV) wird in Br“Wandenburg, Thüringen und Sachsen 2024 ein neuer Landtag gewählt. Die drei Wahlen stehen unter besonderer Beobachtung – vor allem wegen des Umfragehochs der AfD.

Wie hast du die aktuellen Themen rund um die AfD wahrgenommen?

Wir als IGBCE-Jugend sagen klar, dass Hass, Hetze, Homophobie, Sexismus und jede Form von Rassismus in unserer IGBCE nichts verloren hat! Wir sind und bleiben laut und wir werden den Kampf gegen diejenigen weiterführen, die sich unseren Grundwerten als IGBCE und unserem Land entgegenstellen. Es ist toll und richtig, dass so viele mit uns Gewerkschaften auf die Straße gegangen sind und gehen. Daran müssen wir anknüpfen. Nie wieder ist jetzt!

In den vergangenen Wochen ist ganz Deutschland zu einer starken Gegenbewegung gekommen. Kippt der Trend „pro AfD“?

Die Gesellschaft und wir als IGBCE müssen weiter laut sein und auf die Straße gehen und dürfen eine weitere erneute Grenzverschiebung der AfD nicht zulassen. Gleichzeitig wollen wir diejenigen, die der AfD mit ihren Ängsten und Sorgen auf den Leim gegangen sind, wieder von unseren Ideen und Werten überzeugen. Wir stecken niemanden, der verunsichert ist, in eine Schublade mit Nazis. Nazis bekämpfen wir aber mit aller Entschlossenheit. Wir als IGBCE machen uns stark für Demokratie in Betrieb und Gesellschaft. So war es immer und so wird es immer sein. Ich glaube, dass eine Tarifrunde zum Beispiel ein guter Ansatz dafür ist. Hier wird deutlich, dass wir die Menschen nicht allein lassen und das Solidarität zum Erfolg führt.

Stichwort Tarifrunde. Wie blickst du aus Sicht der Jugend auf die anstehenden Runden?

Wir müssen die Tarifrunden nutzen, um die Themen der IGBCE Jugend zu platzieren. Beispielsweise das Thema Ausbildungsplatzangebote, aber auch die Übernahme nach der Ausbildung. Gleichzeitig wird es in diesen Zeiten noch wichtiger, die Ausbildungsvergütungen so zu erhöhen, dass der Kaufkraftverlust ausgeglichen wird.

Wie bewertest du die aktuelle Lage der Ausbildung in Deutschland?

Nehmen wir die Chemische Industrie als Beispiel. Da lag das Ausbildungsangebot 2023 bei rund 9.800 Ausbildungsplätzen. Das klingt ja erst mal gar nicht schlecht und ist sicher auch als Erfolg unserer gewerkschaftlichen Arbeit zu werten, wie etwa unsere Kampagne „Ohne Ausbildung keine Zukunft“. Wir müssen die Zahlen aber ehrlich analysieren und richtig einordnen. Denn 9.800 Auszubildende in einem Jahr sind bei gleichzeitig 30.000 Rentenabgängen weniger als ein Drittel, die neu starten. Wer will bei diesen Zahlen denn ernsthaft von Fachkräftesicherung sprechen. Und wenn wir dann drauf schauen, dass wir bei einem Negativrekord von elf Prozent nicht besetzten Ausbildungsplätzen im vergangenen Jahr angekommen sind, dann schlägt das dem Fass den Boden aus. Und wenn ich sehe, dass die ersten Unternehmen in ihrer Krisenjammerei für dieses Jahr schon wieder Kürzungen an der wichtigsten Zukunftsinvestition der nächsten Jahre, nämlich der Ausbildung, vornehmen, dann müssen wir im Betrieb als JAVis und Betriebsräte aktiv entgegenwirken und noch einmal klar und deutlich sagen: Nicht mit uns.

Wie können wir dem entgegenwirken?

Ein höheres Ausbildungsplatzangebot, das dem Fachkräftebedarf und der gesellschaftlichen Verantwortung gerecht wird. Wir wollen, dass alle eine faire Chance bekommen. Also Weg mit den Einstellungshürden bei Ausschreibungen und überzogenen Einstellungstests, welche künstlich entstanden und in keinster Weise notwendig sind. Wir wollen gute Ausbildungsbedingungen mit ausreichend personeller und materieller Ausstattung. Und wir wollen Übernahme und Perspektive im Anschluss an die Ausbildung und zwar unbefristet. Denn wenn die Betriebe ihre Babyboomer in die Rente entlassen, ist doch klar, dass die Neuen nicht nur für eine kurze Dauer im Betrieb gebraucht werden. Dafür haben wir im Rahmen unserer Kampagne „Ohne Ausbildung keine Zukunft“ Lösungsansätze für gute Betriebsvereinbarungen entwickelt. Denn all diese Themen sind mitbestimmungspflichtig. Diesen Hebel wollen wir nutzen, um die Themen für die junge Generation zu verbessern. Auch tarifliche Instrumente müssen wir stärker nutzen, beispielsweise die Demografieanalyse im Bereich Chemie.

Also Ausbildung als Lösung für den Fachkräftemangel?

Mit der Ausbildung können viele Fragen rund um Fachkräftemangel und demografische Entwicklung beantwortet werden. Gleichzeitig haben wir in unserem Land mit 2,6 Millionen jugendlichen ohne Berufsabschluss auch hier einen historischen Tiefstand erreicht. Darüber hinaus leisten wir uns, 230.000 junge Menschen in ein Übergangssystem zu schicken, statt sie auszubilden. Obendrauf kommt, dass die Rentenabgänge heute schon deutlich über den Ausbildungszahlen liegen. Hier müssten eigentlich die Interessen der Unternehmen auf unsere treffen. Denn Potentiale sind da und die Unternehmen klagen über Fachkräftemangel. Deshalb muss das zentrale Argument Ausbildung sein. Dafür braucht es natürlich auch Fachkräftezuwanderung. Mit Blick auf die gesellschaftlichen Herausforderungen und die Stimmung müssen wir uns auch aus diesem Blickwinkel um unsere junge Generation kümmern.

Welche Rolle spielen die Jugend– und Auszubildendenvertretungen dabei?

Wenn wir die Themen der Zeit im Betrieb gestalten wollen, dann müssen wir die JAV-Wahlen zum Erfolg der IGBCE Jugend machen. Bei den anstehen JAV-Wahlen wollen wir beispielsweise die Wahlbeteiligung wieder auf 70 Prozent steigern. Dafür müssen wir gemeinsam aufzeigen, dass wir als Javis und als Gewerkschaft gemeinsam einen Unterschied ausmachen. Verdeutlichen, dass es gute Ausbildung es nur mit uns gibt. Wir wollen zudem stark als IGBCE in den Gremien sein. Mit Blick auf Gremien und Mitglieder in der JAV wollen wir weiblicher werden und insgesamt mehr werden.

Wie wollt ihr das machen?

Bei den Wahlen wird es darauf ankommen, die Menschen von unseren Themen, Zielen und Ideen zu überzeugen und sie zu beteiligen. Wir wollen, dass die neugewählten Javis zu 80 Prozent bei uns als IGBCE organisiert sind. Und wir wollen von dieser Ausgangsbasis weitere Kolleginnen und Kollegen von uns als IGBCE überzeugen. Denn klar ist, dass wir die richtigen Antworten auf die Fragen der Zeit haben und das wollen wir auch aktiv einbringen.

Für ein Wiedererstarken der Ausbildung bedarf es auch der Neugründungen von JAVen, oder?

Wir müssen die Anzahl der Gremien und Mitglieder in unserem Organisationsbereich steigern. Jede und jeder Auszubildende soll eine Stimme im Betrieb haben. Da kommt die JAV ins Spiel.  Deshalb müssen wir diese Gestaltungsmacht ausbauen.

Und nach den Wahlen?

Alle Javis in unserem Bereich erhält in den ersten drei Monaten nach der Wahl ein persönliches Seminarangebot. Nur so werden wir schnell arbeitsfähig in den Gremien und binden die Kolleginnen und Kollegen auch an die IGBCE Jugend.