EBR-Tagung Brüssel

Sozialer Dialog als Erfolgsfaktor

Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Dialog können Hand in Hand gehen - das zeigte sich Ende März bei einer Tagung von IGBCE und Hans-Böckler-Stiftung in Brüssel, die sich an Europäische Betriebsräte richtete.   

20240320_071_mit_bestimmt (1)
Foto: © Horst Wagner

Die Wettbewerbsfähigkeit ist in aller Munde, der soziale Dialog wird in vielen EU-Ländern immer noch vernachlässigt. Dabei gehören beide gerade in Zeiten der Krise zusammen, wie eine eine Tagung der IGBCE in Kooperation mit der der Hans-Böckler-Stiftung in Brüssel gezeigt hat, die sich an Europäische Betriebsräten (EBR) und SE-Betriebsräte richtete. Mehr als 80 IGBCE-Mitglieder aus EBRs und SE-Betriebsräten großer und mittelständischer Unternehmen etwa aus der Chemie- und Pharma-Branche waren der Einladung gefolgt. 

Die zweitägige Konferenz aus der Reihe „Besser geht’s mitbestimmt“ begann mit einer ernüchternden Bestandsaufnahme bei einer Podiumsdiskussion. Wenn er eine Note für den sozialen Dialog in Europa vergeben müsste, dann wäre es eine „vier minus“, sagte IGBCE-Chef Michael Vassiliadis. Deutschland befinde sich wegen der betrieblichen Mitbestimmung zwar in einer „Premium-Situation“. Doch auch das größte EU-Land sei zurückgefallen, vor allem bei der Wettbewerbsfähigkeit.

Deutlich positiver stellte Barbara Kauffmann von der EU-Kommission die Lage dar. Sie vergab eine „zwei minus“ und verwies darauf, dass der soziale Dialog in der EU auf mehreren Ebenen laufe. Neben den regelmäßigen Treffen der Sozialpartner in Brüssel gibt es noch fast vier Dutzend sektorspezifische Komitees, in denen Arbeitgeber und Belegschaftsvertretungen zusammen kommen. Zudem versuche die EU-Kommission, das Thema Tarifverhandlungen zu stärken.

Tatsächlich hat sich auf EU-Ebene in den vergangenen Jahren einiges getan. Sozialkommissar Nicolas Schmit habe wichtige Anstöße gegeben, da waren sich die Referentinnen und Referenten einig. Allerdings hat sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert. Auch die Wettbewerbsfähigkeit hat in der einigen Branchen - darunter der Chemie - nachgelassen. „Warum gehören Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Dialog zusammen“, wollte Moderatorin Anke Harnack wissen.

Die Antworten waren vielfältig. Es gab gute Beispiele aus der Praxis, etwa vom Schott Euroforum. Es gab aber auch die Warnung, dass der wachsende Wettbewerbsdruck genutzt werden könnte, die Mitbestimmungskultur in einzelnen EU-Ländern kaputt zu machen. „Wir verlieren gerade in allen unseren Unternehmen an Substanz“, warnte Vassiliadis. Doch gerade vor dem Hintergrund von Krise und Klima-Transformation sei der Sozialdialog ein „Erfolgsfaktor“.

Ähnlich äußerte sich die Vertreterin der EU-Kommission. „Mit Dialog kommen wir schneller aus der Krise“, so Barbara Kauffmann. Der soziale Dialog könne auch helfen, die Herausforderungen aus dem „Green Deal“ und dem klimaverträglichen Umbau der Wirtschaft zu bewältigen.

Ein praktisches Beispiel für die mögliche Verknüpfung von „Green Deal“ und betrieblicher Mitbestimmung ist die „Corporate Sustainability Reporting Directive“ CSRD, also die neue EU-Richtlinie zur unternehmerischen Nachhaltigkeits-Berichterstattung . Das Thema Nachhaltigkeit sei eine große Chance, die Belange der Arbeitnehmer voranzutreiben, betonten Maxi Leuchters vom I.M.U. in der Hans-Böckler-Stiftung und Dr. Katrin Vitols vom DGB-Bundesvorstand. Themen wie tariffreie Töchter, Mitbestimmung im gesamten Konzern oder angemessene Entlohnung würden durch die CSRD auf Unternehmensebene diskutiert. Es sei falsch, die Nachhaltigkeits-Berichte nur als Bürokratiemonster zu betrachten - sie enthielten auch starke Hebel für Beschäftigte und Betriebsräte.

Um die Europawahl und die gewerkschaftliche Offensive zur Stärkung Europäischer Betriebsräte ging es im zweiten Teil der Tagung. Am 3. April steht die Reform der EBR-Richtlinie auf der Tagesordnung des EU-Parlaments. Doch ob die Reform noch in dieser Legislatur durchkommt, oder ob sie nach der Europawahl wieder aufgenommen wird, sei völlig offen, berichtete Aline Conchon vom europäischen Gewerkschaftsverband industriAll Europe.

„Wir arbeiten mit Hochdruck, um noch in dieser Legislatur voranzukommen“, sagte die SPD-Europaabgeordnete Gaby Bischoff. Dies sei wichtig, weil es nach der Europawahl neue Mehrheiten im Parlament geben könnte, die der EBR-Reform weniger aufgeschlossen gegenüberstehen. Positiv sei, dass die belgische EU-Ratspräsidentschaft „sehr ambitioniert“ an das Thema herangehe. Allerdings „marschiert die andere Seite (die Arbeitgeber) auch los.

Zu Vorsicht mahnte der CDU-Parlamentarier Denis Radtke. Die Reform sei noch nicht in trockenen Tüchern, „zum Feiern ist es zu früh“. Radtke verwies auch auf das Problem, dass die Stimmung nicht nur im Parlament, sondern auch in den Unternehmen kippen könnte. In vielen Betrieben liege der Anteil der AfD-Wähler bei 30 Prozent und mehr. Das sei nicht nur ein Problem für die  Betriebsräte, sondern auch für den sozialen Dialog.

EBR-Foto Grioli

Auch IGBCE-Vorstandsmitglied Francesco Grioli saß bei der EBR-Tagung auf dem Podium.

Foto: © Horst Wagner

Die Gewerkschaften müssten die AfD-Wähler zurückholen und die Demokratie verteidigen, sagte IGBCE-Vorstandsmitglied Francesco Grioli. „Wir können und dürfen niemals politisch neutral sein“, betonte er. Der Kampf um die Mitbestimmung am Arbeitsplatz und das Einstehen für die Demokratie in Deutschland und anderen EU-Ländern seien nicht voneinander zu trennen, betonten mehrere Redner. Die Verunsicherung vor den Wahlen sei enorm.

Dennoch dürfe man das Erreichte nicht klein reden, betonte Gaby Bischoff. In den letzten Jahren sei die Mitbestimmung am Arbeitsplatz in Europa vorangekommen - auch in bisher schwierigen Ländern wie Frankreich oder Belgien. Gute Modelle gebe es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Finnland oder Österreich. Nun gehe es darum, von den jeweiligen Stärken und Schwächen zu lernen und EU-weite Mindeststandards zu entwickeln.

„Wir müssen riesige Transformationen bewältigen - und das ist besser zu schultern, wenn die Arbeitnehmer beteiligt werden“, so Bischoff. Allerdings gelte es auch, die Demokratie insgesamt zu stärken. "Die Demokratie - ob in der Gesellschaft oder im Betrieb - verteidigen wir nur gemeinsam“, so Bischoffs Fazit. Ähnlich äußerte sich Grioli. Gewerkschafter*innen müssten sich als „Stimme der Arbeit“ profilieren und einen Rechtsruck verhindern.

Ob dies gelingt, ist offen. Alle Umfragen zur Europawahl deuten auf eine Stärkung der Rechtspopulisten und Nationalisten. Zugleich versucht die konservative Europäische Volkspartei EVP, der auch CDU/CSU angehören, den „Green Deal“, aber auch die Sozialagenda der EU zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit und anderer Kapitalinteressen aufzuweichen. Auf die Gewerkschaften kommt noch harte Arbeit zu - vor und nach der Wahl.