Entscheidung gefallen

Klarheit in der Lieferkette

Nach zähem Ringen haben sich die EU-Mitgliedsstaaten auf ein europaweites Lieferkettengesetz geeinigt – bei deutscher Enthaltung und gegen den Widerstand der Industrie. Die IGBCE hält den Kompromiss zur Sicherung von Menschenrechten und Umweltstandards in der Lieferkette für tragbar und kritisiert das Vorgehen der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft.

Junge Männer arbeiten als Werftschweißer, umgeben von Müllhalden auf der Abwrackwerft in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch."
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Mit der Einigung auf ein europaweites Lieferkettengesetz gilt künftig für die gesamte EU eine einheitliche Regelung für Unternehmen, ihren Sorgfaltspflichten bei Menschenrechten und Umweltstandards nachzukommen. “Das ist nicht nur ein längst überfälliges Zeichen der EU, sondern verhindert damit auch einen europäischen Flickenteppich von Gesetzen in den Nationalstaaten", sagt IGBCE-Vorstandsmitglied Alexander Bercht.

Im Grundsatz begrüßt die IGBCE, dass das Lieferkettengesetz nach erneuter Kompromisssuche unter den Mitgliedsstaaten nun eine ausreichende Mehrheit gefunden hat und auf den Weg gebracht werden kann – wenngleich der Anwendungsbereich mittlerweile sogar kleiner als im bereits geltenden deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ist. Das liegt vor allem daran, dass das neue EU-Gesetz nicht nur für Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigten gilt, sondern zusätzlich eine Umsatzschwelle von 450 Millionen Euro eingezogen wurde – nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren.

„Unterm Strich können wir den Kompromiss mittragen“

In bestimmten Branchen mit besonders großen Risiken in der Lieferkette - wie etwa dem Rohstoffsektor - sollten Unternehmen ursprünglich bereits ab 250 Beschäftigten und einer Umsatzschwelle von 40 Millionen Euro ihren Sorgfaltspflichten nachkommen müssen. Diese Risikosektoren wurden nun gänzlich gestrichen und engen somit den Anwendungsbereich noch einmal erheblich ein.  Das sind insbesondere in Hinblick auf das LkSG nur schwer tragbare Rückschritte.

Gleichzeitig liefert die europäische Richtlinie aber auch Regelungen und Inhalte, die im LkSG fehlen. So wird beispielsweise der Begriff der Lieferkette weiter gefasst. “Das ist ein Punkt, den Gewerkschaften stets angemahnt haben. Menschenrechtsverletzungen finden sich nämlich häufiger am Anfang der Wertschöpfung. Die europäische Richtlinie berücksichtigt diese Tatsache stärker als das deutsche Gesetz“, sagt Bercht. „So können wir diesen Kompromiss unterm Strich mittragen.”

Verglichen mit dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist auch die zivilrechtliche Haftung der Unternehmen neu. Sie müssen haften, wenn sie ihre Pflichten zur Kontrolle der Lieferketten fahrlässig oder vorsätzlich vernachlässigt haben. Klagen können nach dem „belgischen Kompromiss“ auch Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen, aber nur wenn sie dies direkt im Namen der Opfer tun. Das EU-Lieferkettengesetz steht eng im Zusammenhang mit Richtlinie zum Verbot von durch Zwangsarbeit hergestellten Produkten in Europa.

„Die Industrie sollte einsehen, dass sie an dem Thema nicht mehr vorbeikommt“

“Dass Deutschland sich in beiden Abstimmungen enthalten hat, bleibt unverständlich”, so Bercht. Es sei eine besorgniserregende Entwicklung, dass sich das „German Vote“ mittlerweile als feststehender Begriff in Brüssel etabliere. Auch die fortwährende Kritik der Unternehmens- und Arbeitgeberverbände an der EU-Regelung kann das IGBCE-Vorstandsmitglied nicht nachvollziehen. “Die Industrie sollte endlich einsehen, dass sie an diesem Thema nicht mehr vorbeikommt.“ Der EU-Kompromiss stelle jetzt sogar sicher, dass deutsche Unternehmen zukünftig unter gleichen Rahmenbedingungen arbeiten wie ihre europäischen Wettbewerber. In der Debatte um das deutsche Lieferkettengesetz habe die Industrie genau diese europäische Lösung immer eingefordert. Diese gebe es jetzt. „Das ist vernünftig und sollte so nun auch akzeptiert und gelebt werden.“

Ende April soll die Richtlinie im europäischen Parlament beraten werden. Von einer breiten Zustimmung ist auszugehen. Im Anschluss müssen die Mitgliedsstaaten die Richtlinie in nationales Recht umsetzen. Deutschland wird das nationale Gesetz entsprechend anpassen müssen.