„Es gibt keinen festen Abschaltplan“
Mehrere Tausend Beschäftigte aus den Kohlerevieren haben sich auf Betriebsversammlungen von LEAG, MIBRAG, STEAG und RWE über den Kompromiss in der Kommission für „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ informiert.
Gemeinsam mit den Ministerpräsidenten von Brandenburg und Sachsen, Dietmar Woidke und Michael Kretschmer, sowie den Vorstandschefs der Unternehmen berichtete der Vorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis, bei der LEAG über die im Abschlussbericht des Gremiums formulierten Empfehlungen zur Neuausrichtung der Energiepolitik sowie der vom Strukturwandel in der Kohle betroffenen Reviere. Das Wichtigste: „Jede und jeder Einzelne hier hat eine Sicherheitszusage“, sagte Vassiliadis, selbst Mitglied der Kommission. „Lasst uns zuversichtlich bleiben.“
Rainer Weisflog

Die Kommission hatte sich kurz zuvor auf einen Auslaufpfad für die Kohleverstromung bis 2038, eine umfangreiche soziale Absicherung der vom Strukturwandel Betroffenen vergleichbar mit den Regelungen im Steinkohlenbergbau sowie auf ein milliardenschweres Strukturprogramm für die Reviere in der Lausitz, in Mitteldeutschland und im Rheinland geeinigt. Für die Beschäftigten sieht es unter anderem eine Frühverrentung ab 58 Jahren und umfangreiche Weiterbildungs- und –vermittlungsmaßnahmen für Jüngere vor, so sie ihren aktuellen Arbeitsplatz verlieren sollten. Dies alles unter Ausgleich finanzieller Einbußen.
Vassiliadis machte deutlich, dass die Energiewirtschaft mit den 12,5 Gigawatt Leistung aus der Kohleverstromung, die bis Ende 2022 vom Netz gehen sollen, eine CO2-Reduktion von 45 Prozent erreichen und damit die Klimaziele der Bundesregierung übererfüllen werde. „Wir haben geliefert. Ich erwarte, dass nun auch andere liefern“, sagte der IG-BCE-Vorsitzende. Gleichzeitig hob er hervor, dass alle weiteren Maßnahmen in den Folgejahren davon abhingen, wie weit Energiewende, Strukturentwicklung und die Schaffung neuer Jobs vorangekommen seien. „Es gibt keinen festen Abschaltplan“, so Vassiliadis.
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Die Kommission hatte auf Betreiben der IG BCE Haltepunkte für die Jahre 2023, 2026, 2029 und 2032 eingezogen. In diesen Jahren soll ein unabhängiges Expertengremium ermitteln, ob etwa der Ausbau erneuerbarer Energien und Netze so weit vorangekommen ist, dass weitere Kohlekraftwerke überhaupt vom Netz genommen werden können, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden oder die Strompreise ausufern zu lassen. „Wenn das alles nicht ausreichend auf dem Weg ist, kann man auch nicht abschalten“, stellte Vassiliadis klar.
Rainer Weisflog

Mit dem Abschlussbericht der Kommission fängt die Arbeit erst an – darin waren sich die Beteiligten einig. Die Politik muss eine Vielzahl von Gesetzen anschieben, etwa zur Strukturentwicklung oder dem staatlichen Anpassungsgeld für ältere Beschäftigte. Allen Beteiligten ist dabei eines wichtig: Dass die in mühsamen Verhandlungen gefundenen Kompromisse der Kommission nun von der Politik eins zu eins umgesetzt werden – und dann auch allen Beteiligten langfristig Planungssicherheit garantieren. „Die Ergebnisse dürfen mit der nächsten Wahl nicht wieder über den Haufen geworfen werden“, mahnte der Konzernbetriebsratsvorsitzende der LEAG, Uwe Teubner.
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Das sahen viele der etwa 800 Beschäftigten, die zur Betriebsversammlung der Mibrag gekommen waren, ähnlich: Der Kompromiss sei in Ordnung, jetzt komme es aber auf die konkrete Umsetzung an. „Das vereinbarte Fördergeld hört sich erst einmal gut an", sagte der Geschäftsführer der MIBRAG, Armin Eichholz. ,,Aber für Strukturwandel braucht es nicht nur Geld, sondern auch industrielle Anlaufstellen. Die wollen wir als MIBRAG sein“, betonte er. Er ergänzte: „Wichtig ist, dass Strukturbrüche vermieden werden. Strukturwandel muss industrieller Strukturwandel sein“.
Michael Bader

Im Rheinischen Braunkohlerevier sprach der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Freitag bei einer Betriebsversammlung zu den Beschäftigten von RWE. Es war kein natürliches Heimspiel für Laschet, der gerade aus Berlin kam, wo er am Vorabend mit der Kanzlerin über den Kohle-Kompromiss geredet hatte. Die Beschäftigten spendeten zwar höflichen Applaus, als er den Saal betrat, es gab aber auch Buhrufe. Im Laufe einer lebendigen Debatte konnte Laschet aber auch Punkte machen – etwa bei Thema Gewalt im Hambacher Forst, wo seit Jahren Aktivisten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei liefern und auch nicht vor Angriffen auf RWE-Beschäftigte zurückschrecken. „Wir werden keine rechtsfreien Räume in NRW dulden“, sagte Laschet und wiederholte damit eine Aussage, die er früher schon getätigt hatte.
Markus Feger

Die Beschäftigten nahmen Laschets Bekenntnis zu „null Toleranz“ gegenüber Gewalttätern einerseits mit Zustimmung auf, andererseits auch mit einer gehörigen Portion Skepsis. „Die Baumhäuser sind wieder da“, rief ein Beschäftigter dem Ministerpräsidenten zu. Da hatte Laschet gerade betont, dass erst seine seit knapp zwei Jahren amtierende Regierung damit angefangen habe, den Wald zu räumen. Tausende von Polizisten hätten 86 Baumhäuser geräumt, und dafür habe er sich „in der gesamten Republik beschimpfen lassen müssen“.
Gewalttaten gegen Mitarbeiter von RWE „werden wir nicht dulden“, betonte Laschet, und „Anfeindungen gegen Bergleute dürfen wir uns nicht gefallen lassen“. Dafür erntete er jeweils kräftigen Applaus, wie ihn zuvor schon der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiladis erhielt, als er bei der Betriebsratsversammlung sagte: „Das, was es hier an Gewalt gegeben hat, ist mit nichts vergessen zu machen.“
Markus Feger

Beide, Vassiliadis und Laschet, betonten, dass eines nun klar sein müsse: Es gibt einen Konsens, und dieser Konsens gilt. Das Paket dürfe von den Umweltverbänden nicht wieder aufgeschnürt werden. Auch dafür gab es Applaus.
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110 Betriebsräte haben auf einer Betriebsversammlung von STEAG aus erster Hand Informationen zu dem Kompromiss der Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" erhalten. Der Vorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis, sprach vor ihnen über die im Abschlussbericht formulierten Empfehlungen zur Neuausrichtung der Energiepolitik und der vom Strukturwandel betroffenen Kohle-Reviere. Er sicherte den Betriebsräten zu, dass jeder der betroffenen Beschäftigten eine Sicherheitszusage erhält.
Frank Rogner

Der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats der STEAG, Ralf Melis, präsentierte sich seinen Betriebsräten erleichtert. Endlich habe man zu mindestens mehr Klarheit. Der erzielte Kompromiss bedeute nicht, dass das Ergebnis der Kommission glücklich mache. Man könne aber zufrieden mit dem sein, was unter den diesen Umständen gemeinsam erreicht wurde. „Es freut mich, dass wenigstens schon mal die Medien Begriffen haben, dass es neben den ökologischen Aspekten vor allem auch um die Versorgungssicherheit geht.“